Konzept
Themenkomplex HDC 2013-2015: Der Mensch im Wandel der Technologie
Konzept
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Internet, Computer, Mobiltelefon, Fernsehen, virtuelle Wirklichkeiten – generationenübergreifend lässt sich zunehmend ein Leben ohne die große Bedeutung von Technologien nicht mehr vorstellen. Moderne Medien und technologischer Wandel gehören zum Alltag unserer heutigen Informations- und Wissensgesellschaft. Innovationszyklen werden beständig kürzer und der Umgang des Menschen mit unterschiedlichsten Technologien verändert sich rasant. Gleichzeitig ermöglichen diese Errungenschaften eine mobilere Arbeits- und Lebensweise, eröffnen neue Handlungsmöglichkeiten, stellen aber zugleich neue Herausforderungen an den einzelnen Akteur. Schon heute zeichnen sich neue Anforderungen ab, sowohl hinsichtlich der zu entwickelnden technologischen Systeme als auch hinsichtlich der kognitiven, motivationalen, emotionalen und sozialen Fähigkeiten auf Akteursseite. Im Kontext des demographischen Wandels erweitert ihre Nutzung die Möglichkeiten älterer Menschen; zugleich aber verschärfen sich die Effekte der Exklusion bei Menschen, die die technischen Möglichkeiten nicht nutzen können oder wollen. Darüber hinaus verschiebt der Einsatz der modernen Technologien die gesellschaftlichen Sphären von Privatheit und Öffentlichkeit und verändert die Prozesse des Lehrens und lebenslangen Lernens sowie die Konturen von Bildung.
Im Zuge der inzwischen alle Sphären des menschlichen Lebens ergreifenden Technisierung konstituiert sich ein neues Verständnis menschlicher Kompetenz und Bildung sowie unseres Handelns, insbesondere dort, wo technische Medien nicht mehr nur als verfügbare Instrumente menschlichen Tuns aufgefasst werden, sondern geradezu als eigene Interaktionspartner von Menschen auftreten. Im Geflecht solcher Entwicklungen wirken moderne Technologien differenzierend und identitätsbildend. Sie liefern Entwürfe und Vorstellungen eines guten Lebens und prägen ein neues Selbstverständnis des Menschen – sowohl menschlicher Individuen als auch menschlicher Gesellschaften. Damit stehen im humanwissenschaftlichen Forschungsinteresse weniger die Technologien an sich. Vielmehr geht es um ihre Auswirkungen auf Gesellschaft und Individuen, auf Bildung und Kultur, auf Lebenszyklen und den demographischen Wandel sowie auf Fragen ethischer Rahmungen des Umgangs mit Technologien.
Im Kontext solcher Probleme lassen sich verschiedene relevante Themen und mit ihnen brisante Fragestellungen herausarbeiten:
Der viel diskutierte gesellschaftliche Wandel zeigt sich in einer zunehmenden Verzahnung von Mensch, Medien und Informationstechnologie. Soziale Netzwerke und virtuelle Gleichzeitigkeiten schaffen neue Formen sozialer Prozesse und Kommunikationen. Nachhaltigkeit, Bildung, demographischer Wandel, gesellschaftliche, wirtschaftliche, finanzpolitische und ethische Herausforderungen, sie alle werden vor dem Hintergrund sich verändernder technologischer Möglichkeiten und eines Wandels der Motive, Werte und Lebensstile des Einzelnen wie der Gesellschaft neu thematisiert.
Chancen, aber auch Risiken dieser Entwicklung werden offensichtlich. Schlagworte wie die “Digitale Demenz” oder die “Entmenschlichung der Märkte” sind – unabhängig von einer genauen Analyse der faktischen Zusammenhänge – von größter gesellschaftlicher Brisanz. Darüber hinaus dringen Technologien in den Körper ein, werden gleichermaßen inkorporiert. Technische Entwicklungen verändern in Permanenz das menschliche Verhältnis zur Welt, zu Seinesgleichen sowie zur eigenen Leiblichkeit. Apparate werden zunehmend zum Spiegel unseres Selbst bis hin zur Verwendung technischer Metaphern zur Selbst- und Weltbeschreibung. Die veränderten Möglichkeiten der Speicherung führen zu Auslagerungsstrategien des Wissens und damit zu einer Transformation des Wissens hin zur Information. Eine digital literacy wird zur Bildungsaufgabe einer postmedialen Wirklichkeit, um die strukturelle Komplexität der Technologien sichtbar und Codes lesbar zu machen. Auch Fragen des Politischen verschärfen sich, wenn Technologien als Mittel der Demokratisierung, aber auch als Möglichkeit von Technokratien und totalitären Gesellschaftsformen aufgefasst und eingesetzt werden. In besonderer Weise greifen Technologien in die Gestaltung und Verlängerung der Lebenszeit ein (von der Brille bis hin zu Prothese, Herzschrittmacher, Bionic Exoskeleton u.v.m.), so dass sich ethische Fragen nach dem rechten Leben und Sterben neu stellen.
Im systematischen Zentrum dieser drängenden gesellschaftlichen Problemstellungen und damit im Zentrum des Forschungsinteresses des HDC steht daher die Bedeutung invasiver und extrakorporaler Technologien für Formen der Subjektivität und der conditio humana. Hierbei ist die Fokussierung von Inkorporationsmechanismen und -effekten modellbildend. Diese Problematik kann wegen der Wechselwirkung von Subjektivität und Technologie als richtungsweisend für zukünftige Entwicklungen postmedialer Welten angesehen werden.
Die individuellen und sozialen Folgen des Technikeinsatzes müssen einer evidenzbasierten, am Menschen orientierten, kritischen interdisziplinären Beurteilung unterzogen werden, um so auch die Frage zu beantworten, wie am Menschen orientierte Innovationen auf der Basis wissenschaftlichen Erkenntnisgewinns durch die scientific community realisiert werden können und sollen. Technologien drangen und dringen seit jeher in alle Lebensbereiche der Menschen ein und bestimmen explizit, aber vor allem implizit die conditio humana. Das Forschungsthema Der Mensch im Wandel der Technologie setzt hier an und entfaltet interdisziplinär humanwissenschaftliche Dimensionen der Dynamiken neuer Technologien für das individuelle und soziale menschliche Zur-Welt-Sein und Handeln.
Mit dem skizzierten Forschungsfeld betritt die Fakultät ein bislang wenig systematisch erfasstes Forschungsneuland. Sie ist damit in der Lage, musterbildend und nachhaltig den interdisziplinären Forschungskontext zu prägen.
Stichworte für thematische Orientierungen und Schwerpunktsetzungen zur Entfaltung des humanwissenschaftlichen Forschungsfeldes Der Mensch im Wandel der Technologie könnten dabei sein:
→ Technologie und Bildung
→ Technologie und Alter / demographischer Wandel
→ Technikeffekte und gesellschaftlicher Wandel
→ Technische Gestaltung gesellschaftlicher Kommunikation und politischer Partizipation
→ Technisches Handeln und Handeln der Technik