Den Verzicht im Fokus
10.10.2023Katharina Wörn ist neue Juniorprofessorin für Systematische Theologie und Gegenwartsfragen/Ethik an der Universität Würzburg. Ethische Fragen im Angesicht der Klimakrise bilden einen ihrer Forschungsschwerpunkte.
Wenn heutzutage von Verzicht die Rede ist, hat das häufig einen negativen Beigeschmack. Es müssen beispielsweise nur die Grünen dazu aufrufen, einen Tag in der Woche auf Fleisch zu verzichten, schon schlagen die Wellen der Empörung hoch. „Verzicht ist in aktuellen gesellschaftlichen Debatten ein Reizwort. Aber gerade deshalb lohnt es sich, mal genauer hinzuschauen“, sagt Katharina Wörn. Die 35-Jährige ist seit Kurzem neue Juniorprofessorin für Systematische Theologie und Gegenwartsfragen/Ethik an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU). Das Thema „Verzicht“ bildet aktuell einen Schwerpunkt ihrer Forschung, die sich mit einer Ethik im Angesicht der Klimakrise beschäftigt.
„Inwieweit ist individueller oder kollektiver Verzicht eine Handlungsoption im Kampf gegen den Klimawandel? Und was lässt sich aus theologischer Sicht dazu sagen?“: Um diese Fragen kreist Katharina Wörns Forschung. „Im Prinzip ist der Begriff ‚Verzicht‘ heutzutage negativ besetzt, und gerade Politikerinnen und Politiker haben Angst davor, ihn zu verwenden“, erklärt die Wissenschaftlerin. Das sei auch gut nachzuvollziehen. Schließlich werde Verzicht häufig mit einer Beschränkung der persönlichen Freiheit gleichgesetzt. Das allerdings müsse nicht so sein.
Verzicht öffnet Raum für Neues
„In der christlichen Religion finden sich viele Beispiele für Verzicht mit einer positiven Bestimmung“, sagt Wörn. So lassen sich beispielsweise Leben und Sterben Jesu Christi als ein bewusster Verzicht auf Macht, Status und Reichtum interpretieren. Aber auch spirituelle Praktiken wie das Fasten deuten den Verzicht als Weg zu einem erfüllten Dasein. Verzicht bedeute hier nicht den Verlust, sondern gerade den Vollzug von Freiheit. Tatsächlich entstehe mit der freiwilligen Entscheidung, auf bestimmte Dinge zu verzichten, immer auch Raum für Neues und Anderes, so die Juniorprofessorin. Diese Aspekte will sie im Rahmen ihrer Forschung genauer untersuchen.
Katharina Wörn ist in München aufgewachsen. Nach einem Praktikum in der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern hat sie sich für ein Studium der Evangelischen Theologie und Religionswissenschaften in München und Heidelberg entschieden. „Theologie berührt viele meiner Interessen – angefangen von den alten Sprachen über Geschichte und Philosophie bis hin zur Ethik“, sagt sie. Das ursprüngliche Ziel „Journalismus“ habe sie jedoch schnell gegen die Wissenschaft getauscht, weil sie dort „gründlicher und im Austausch mit Studierenden und KollegInnen“ arbeiten könne.
Forschung zu Uneindeutigkeit
Von 2012 bis 2014 absolvierte Katharina Wörn ein Masterstudium an der Yale University, New Haven (USA); 2016 legte sie das erste theologische Examen ab. Von 2016 bis 2023 war sie Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Systematische Theologie der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Dort wurde sie 2020 mit einer Arbeit über „Ambiguität. Paul Tillichs Begriff der Zweideutigkeit im Kontext interdisziplinärer Debatten“ promoviert.
„Das Thema Ambiguität, also Mehr- oder Uneindeutigkeit, bestimmt aktuell viele Debatten in der Soziologie und den Kulturwissenschaften – und wirkt von dort in die Populärkultur hinein. Unsere Gegenwart wird oft verstanden als eine Zeit von Pluralität und Uneindeutigkeit. Gleichzeitig gibt es natürlich die Tendenzen, Vieldeutigkeit einzuschränken und – zum Teil gewaltsam – Eindeutigkeiten herzustellen“, sagt Wörn. Sie hat am Beispiel des Theologen und Religionsphilosophen Paul Tillich (1886–1965) untersucht, welchen Beitrag die Theologie zum Umgang mit Uneindeutigkeiten leisten kann. Ihre Arbeit stelle „eine Detailstudie zu einem theologischen Klassiker und zugleich einen Beitrag zur sozial- und kulturwissenschaftlichen Ambiguitätsforschung aus theologischer Perspektive dar“, wie es in einer Besprechung heißt.
Mehr Autorinnen in den Fokus stellen
Das Institut für Evangelische Theologie und Religionspädagogik der Uni Würzburg bietet Lehrveranstaltungen für zahlreiche Studiengänge an – angefangen beim Fach Religion für das Lehramt an Grund-, Haupt- und Realschulen über den Bachelor „Evangelische Theologie“ bis zum Master „Diversitätsmanagement, Religion und Bildung“. In allen Bereichen wird Katharina Wörn Vorlesungen und Seminare anbieten.
Darin will sie den Blick über Deutschland hinaus richten und Perspektiven des englischsprachigen Raums sowie aus dem globalen Süden einbringen. Wichtig sei es ihr auch, interdisziplinäre Zusammenhänge beispielsweise mit der Soziologie und Philosophie aufzuzeigen und – ganz wichtig – vermehrt auch Autorinnen zu behandeln. „Bislang kann man sehr lange Evangelische Theologie studieren und hat es überwiegend mit Werken männlicher Autoren zu tun“, sagt sie. Dabei gäbe es gerade zu Gegenwartsthemen spannende und innovative Beiträge von Theologinnen.
Von ihren Studierenden wünscht sich Katharina Wörn „Interesse, Wachheit und die Lust, sich mit aktuellen Fragen zu beschäftigen“. Ein „exploratives Mindset“ und die Freude am Austausch und der Diskussion seien in ihren Seminaren ebenfalls nicht fehl am Platz. Im Gegenzug verspricht sie, auf Studierende, ihre jeweiligen religiösen Hintergründe sowie auf ihre Fragen einzugehen und diese als Grundstein zum gemeinsamen Nachdenken zu nutzen.
Ein Schritt zu mehr Interdisziplinarität
Wie beurteilt sie ihren Wechsel von Jena nach Würzburg? „Die JMU hat zwar keine Evangelisch-Theologische Fakultät. Das allerdings hat mich gereizt wegen der Möglichkeit des interdisziplinären Dialogs“, sagt Wörn. Mit seiner Verankerung innerhalb der Fakultät für Humanwissenschaften stehe das Würzburger Institut für Evangelische Theologie und Religionspädagogik in direkter Nachbarschaft zu Disziplinen wie der Psychologie oder der Philosophie. Dadurch seien für sie „spannende Allianzen“ möglich, auf die sie sich freue.
Diesen Schritt zu einer verstärkten Interdisziplinarität hält Katharina Wörn auch deshalb für angebracht, da sich die Theologie angesichts sinkender Zahlen von Kirchenmitgliedern prinzipiell mit der Frage beschäftigen müsse, wie es mit dem Fach weitergehen soll. Neue, zukunftsfähige Formate hält sie dabei für ein wesentliches Element. Mit dem Master „Diversitätsmanagement“ etwa sei die Universität Würzburg auf dem richtigen Weg. „Schließlich haben wir auch in Zukunft einen wichtigen Beitrag zu leisten in der Diskussion gesellschaftlicher Themen!“
Kontakt
JProf. Dr. Katharina Wörn, Juniorprofessur für Systematische Theologie und Gegenwartsfragen unter besonderer Berücksichtigung der Ethik, T: +49 931 31-82504, katharina.woern@uni-wuerzburg.de